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1939 Dozentin Chrustlew

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Ein Richter mit gutem Herzen: J. L. Teitel

(1851- 1939).

Dozentin Chrustalewa, A. W.

Dank der Bemühungen der Heimatforscher kennen wir viele ruhmreiche Namen, die einst der Stolz und die Ehre Saratovs waren. Doch unter ihnen gibt es auch solche, die bis heute noch nicht aus dem Staub der Archive befreit wurden. Vergessener Namen gedenkend möchte ich einiges über eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, den Richter und Wohltäter J. L. Teitel sagen, der offensichtlich der Aufmerksamkeit der Heimatforscher entgangen ist.

Das Leben dieses Menschen, das praktisch nur im Spiegel der Kunst wiedergegeben wurde (wissenschaftliche Untersuchungen über ihn gibt es nur vereinzelt), entfaltet uns ein interessantes historisches Bild: die Schicksale der russischen und jüdischen Intelligenz in den letzten Jahrzehnten des vorrevolutionären Russland. Die Fäden dieser Schicksale kreuzen sich auf wundersame Weise, laufen zusammen und für immer auseinander, und manchmal ist es schwierig, zu erkennen, was ihr großartiges Muster mit den kleinen Stichen der gewöhnlichen, alltäglichen Tage stickt. Das ganze Leben Teitels besteht aus solchen kleinen Stichen, und dient, wie uns scheint, als glanzvoller Beweis für die einfache Wahrheit: Großes beginnt im Kleinen.

Die Person Teitels ist widersprüchlich: Wenn wir seine Züge aufmerksam betrachten, entdecken wir die Verbindung von Unvereinbarem. Als konservativer Mensch und Richter wachte er über jenen Gesetzen, die sich oft gegen seine Glaubensgenossen richteten. Er lebte praktisch zwischen Skylla und Charybdis, denn er übte ein Amt aus, das ihm die volle Zugehörigkeit weder zur orthodoxen noch zur jüdischen Welt ermöglichte.

Er war fast nie Befürworter von Reformen. In den Mitgliedslisten politischer Parteien suchen wir ihn vergeblich – Teitel hielt sich immer von fundamentalen Ideen und „großen Sachen“ fern. Gemäß seinem eigenen Bekenntnis beschäftigte er sich sein ganzes Leben lang damit, denen, die sie benötigten jedwede Hilfe zu erweisen. Die große Politik schreckte Teitel genauso ab wie glanzvolles sich zur Schau stellen. Stattdessen zog er es vor, in ärmlichen Gassen und städtischen Randgebieten unterwegs zu sein, wo er seine helfende Hand den Schutzlosen entgegenstreckte. Auf diese Weise die lange Tradition des Beistandes gegenüber der Obrigkeit fortsetzend, erfüllte er de facto die Mission des Schtadlanen [„Fürsprecher“ - nämlich seiner jüdischen Volksgenossen gegenüber der nichtjüdischen Obrigkeit]. Das heißt, seine besondere Position nutzend, half er den Besitzlosen. Diese Tradition des Helfens geht in der Geschichte weit zurück und ist in der wissenschaftlichen Literatur hinreichend untersucht worden. Es ist bekannt, dass einige Schtadlane, z.B. A. Peretz und N. Notkin in den Verhandlungen mit russischen Machthabern gelegentlich große Erfolge erzielten.1 

Es muss festgestellt werden, dass Teitels Verhältnis zum Judaismus nicht ohne Kompromisse war. Seine Aussage, dass er seine Religion nicht verkaufe, ist bekannt – aber ebenso die Tatsache, dass das Richteramt im damaligen Russland aus jüdischer Sicht zu weit gehende soziale Kontakte zur orthodoxen Bevölkerung mit sich brachte.

Man kann Teitel als Vertreter eines speziellen Teils der jüdischen Intelligenz betrachten, die allmählich verweltlichte und zur Regierungszeit Nikolaus I. zu einer eigenen sozialen Gruppe wurde.2 Für die Vertreter dieser russisch-jüdischen Intelligenz war ein hoher Grad an Toleranz gegenüber der orthodoxen Bevölkerung charakteristisch. Sie waren von dem Bestreben eingenommen, die russische Kultur und Geschichte zu studieren, sie ließen das Verlassen des Schoßes der jüdischen Kultur zu, wenn dies für das Überleben in der orthodoxen Gesellschaft gerechtfertigt schien. In der wissenschaftlichen Literatur wird in Bezug auf politisch und gesellschaftlich äußerst aktive Personen dieser Gruppe, im Falle, dass sie sich auch sprachlich in ihre russische Umwelt einfügten und die Möglichkeit der Säkularisierung der jüdischen Massen zuließen, häufig der Begriff „Assimilatoren“ verwendet. Damit ist gemeint, dass dergleichen Vertreter der Intelligenz sich auf die allmähliche Assimilierung der jüdischen in die russische Gesellschaft orientierten. Sie sahen ihre Zukunft in Russland und hielten es für möglich, die goldene Mitte zu finden zwischen den Extremen einer Absorption des Judentums durch die russische Gesellschaft einerseits und einer völligen Isolierung der Juden von der orthodoxen Gesellschaft andererseits.

Personen, die von dieser assimilierenden Subkultur eingenommen waren, gründeten einerseits autonome politische und kulturelle Organisationen, rein zur Stärkung der ethnischen Gemeinschaft, andererseits arbeiteten sie mit dem russischen Teil der Bevölkerung in größerem Umfang zusammen – wie sie meinten, zum Nutzen der gesamten Bevölkerung des Russischen Reiches. M. Winawer3 zum Beispiel, der Leiter der Konstitutionell-Demokratischen Partei, beteiligte sich unmittelbar an der Arbeit der Gesellschaft zur Verbreitung der Bildung unter den Juden. Auf diese Weise wirkte er gleichzeitig an zwei kulturellen Prozessen mit. Ein weiteres Beispiel für die Beteiligung an zwei kulturellen Prozessen ist der Literaturkritiker Michail Ossipowitsch Gerschenson, der sein ganzes Leben lang in russischer Sprache schrieb und sich im Sammelband „Wegzeichen“ faktisch mit der russischen Intelligenz identifizierte.

Inwiefern ist die Person des russischen Schtadlans Jakob Lwowitsch Teitel für uns heute interessant? Die Aufmerksamkeit des Lesers sei erstens darauf gelenkt, dass Teitel der orthodoxen Bauernschaft juristische und moralische Unterstützung leistete, was seine Person angesichts der Stellung, die er einnahm, etwas widersprüchlich erscheinen lässt. Während er eigentlich Richter war, nahm er die Funktion eines Anwaltes wahr. Zweitens ist seine Person unmittelbar mit Saratov verbunden, und das Studium seiner Memoiren4 kann die Geschichtsforscher betreffs des vorrevolutionären Russland zu neuen Gedankengängen anregen. Außerdem soll auf die interessante Tatsache hingewiesen werden, dass dieser Philanthrop russischen Schriftstellern Hilfe erwies. In diesem Sinne scheint eine Beschäftigung mit Werk und Leben J. L. Teitels angemessen.

Ein kurzer biografischer Abriss des Lebens Teitels markiert folgende Ereignisse und Fakten: Die spätere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens wurde 1951 im Städtchen Schwarze Insel im Gouvernement Podolien, im jüdischen Ansiedlungsgebiet geboren. Die religiöse Erziehung war in seiner Familie mit der weltlichen vermischt. In den Pausen des Tora-Studiums wurde dem Jungen erlaubt, Belletristik französischer und deutscher Autoren zu lesen. Schon von Kindheit an zeigte sich bei ihm ein Widerwille gegen religiöse und Rassen-Intoleranz. Im Jahr 1871 wurde Teitel Student an der medizinischen Fakultät der Moskauer Universität, wechselte jedoch buchstäblich nach einigen Tagen an die juristische Fakultät. Im Jugendalter durchlebte er eine Phase großer Begeisterung für die  Politik. Er bewegte sich in den Kreisen junger Sozialrevolutionäre, wenngleich er sich selbst nicht an revolutionären Agitationen beteiligte. Später lehnte Teitel die Idee eines revolutionären Umbaus endgültig ab und betonte die Vorzüge friedlicher Mittel. Um 1875 kam er zu dem Schluss, dass es nötig sei, eine russischsprachige Zeitung zu gründen - für den Kampf gegen den zunehmenden Antisemitismus. Teitels Initiative wurde von vielen, sowohl religiösen als auch weltlichen Persönlichkeiten gutgeheißen. Doch wegen materieller und anderer Gründe erblickte die Zeitung das Licht der Welt erst vier Jahre später. Im Mai 1875 schloss er das Jurastudium ab und entschloss sich, sich dem Dienst am Gericht zu widmen. Bemerkenswert, wie Teitel selbst, möglicherweise die Wirklichkeit etwas romantisierend, seine Wahl erklärt.5 Im Dezember 1877 wurde er zum Untersuchungsrichter in Samara bestellt. 1904 begann Teitel seine berufliche Tätigkeit in Saratov als Mitglied des Bezirksgerichtes. Faktisch war er der einzige jüdische Richter in Russland.

„Nach dem Tod des Gerichtsmitgliedes Dilon sowie des Untersuchungsrichters Trotzki und dem Übertritt des Gerichtsmitgliedes Werblowski zum orthodoxen Glauben blieben am Gericht zwei Juden übrig: J. M. Galperin und ich“6, erinnert sich Teitel. Zum Jahr 1912 war er aufgrund einer weiteren Welle des Antisemitismus gezwungen, sein Amt aufzugeben. Nach den Erinnerungen Teitels sagte der Justizminister I. G. Scheglowitow selbst ihm, dass „nun ein Jude in Russland nicht mehr Richter sein kann.“ Am ersten Januar 1912 wurde er als Auszeichnung für seine Dienste zum Stadtrat ernannt. Der von I. G. Scheglowitow verliehene Titel war eine Art Entschädigung im Tausch gegen das Gesuch J. L. Teitels, ihn aus dem Richteramt zu entlassen. Nach 1912 lebt er in Moskau, wo er beginnt, der „Gesellschaft zur Förderung der handwerklichen und landwirtschaftlichen Arbeit in Russland“ (ORT) viel Zeit zu widmen. Außerdem arbeitete er in der Gesellschaft zur Unterstützung armer Juden in Moskau mit. 1913 wurde Teitel zum Mitglied des Komitees der Moskauer Gesellschaft zur Unterstützung von Studenten gewählt.

Eine der interessanten Initiativen an denen er beteiligt war, war auch das Projekt zur Umsiedlung der Juden nach Angola. Betrachten wir dieses etwas genauer. Portugal war nach 1910 zur Republik ausgerufen worden, und eine der wichtigsten Fragen, vor der der neue Staat stand, war die Erhaltung der Kolonien. Um das Territorium von Angola zu erhalten - das um ein Vielfaches größer war als das der Kolonialmacht - war es nötig, dieses zu besiedeln. Als die für die Besiedlung geeignetsten Pächter wurden die Juden angesehenen, und zwar aufgrund des Umstandes, dass sie keinen Rückhalt einer eigenen Regierung hatten und folglich eine Abspaltung und Bildung eines souveränen Staates schwieriger wäre. Teitel förderte den Prozess zwischen den portugiesischen und jüdischen Verhandlungspartnern. Bei den portugiesischen Machthabern rief allerdings die Verbindung der „JTO“ mit London große Besorgnis hervor - der Organisation, die die Verantwortung für die Umsiedlung übernommen hatte.7 Sie begannen darauf zu bestehen, dass das Land jedem nach Angola Übersiedlungswilligen persönlich zugeteilt werde und nicht der juristischen Person „JTO“. Es ist bekannt, dass die Übersiedlung nicht zustande kam, weil die angebotenen Ländereien aufgrund verschiedener Faktoren unbefriedigend waren.

Teitel war ein überzeugter Befürworter dessen, die Juden vom Handel abzubringen. Er unterstützte persönlich die Gründung und Entwicklung der Ansiedlung in Malachowka im Vorural. Während des Ersten Weltkrieges hält Teitel sich in London auf, wo er Geld für mittellose jüdische Flüchtlinge sammelt. Nach 1917 kehrt er nicht nach Russland zurück, sondern wird Präsident des Russisch-Jüdischen Bundes in Deutschland. 1923 organisierte er die philanthropische Gesellschaft „Kinder-Freunde“, eine Organisation, die das Ziel hatte, die physische und seelische Gesundheit der Kinder zu verbessern.

Widmen wir uns nun etwas ausführlicher Teitels Saratover Zeit: Eine annähernde Vorstellung davon kann man aus den Archivmaterialien gewinnen, unter anderem aus dem Bestand des Staatlichen Archivs des Saratovgebietes, sowie aus den bereits erwähnten Memoiren.

„Bis zum 15. September 1904 saß ich in der zivilen Kammer, und von da an wechselte ich in die erste Strafkammer des Saratover Landgerichtes. <...> Als Mitglied des Gerichtes in den Verhandlungen sitzend, hatte ich viel Zeit, die Angeklagten zu beobachten. Ein trauriges Bild boten die sogenannten Wiederholungstäter, die zum dritten, vierten usw. mal wegen Diebstahls vor Gericht standen. Meine Eindrücke vom Gericht über sie habe ich im „Saratover Blatt“ unter der Überschrift „Höchste Zeit“, veröffentlicht. In diesem Artikel wies ich auf die Notwendigkeit der Schaffung eines Patronats hin, einer Gesellschaft, die sich um Personen kümmert, die aus der Haft entlassen werden.“8 Leider wurde die Idee des Patronats nicht verwirklicht.

Interessant sind die Kommentare Teitels über die Saratover Gefängnisse. „Mir als Mitglied der Strafkammer waren die Zustände in den Gefängnissen gut bekannt, sowohl aus den Beschwerden der Untersuchungshäftlinge als auch aus leider sehr selten vorkommenden Verfahren, in denen Gefängnisaufseher wegen Misshandlung von Häftlingen angeklagt wurden. Das harte Regime in den Saratover Gefängnissen war weit über die Grenzen der Provinz hinaus bekannt. Ab 1905 war der Nachfolger Stolypins, Graf S. S. Tatischew Gouverneur von Saratov. Unter ihm wurde Gubert, ein unglaublich harter Mensch, zum Leiter des Hauptgefängnisses ernannt. Dieser Gubert lies sich tagsüber nicht im Gefängnis sehen; doch nachts blieb er wach und beunruhigte die Häftlinge durch Visiten in den Zellen und Bestrafungen von Gefangenen, die sich angeblich etwas zuschulden kommen lassen hatten. Anordnungen des Gerichtes sowie der staatsanwaltlichen Aufsicht wurden ignoriert. Es ist kaum zu glauben aber wahr, dass die Beauftragten des Staatsanwaltes, denen die Pflicht oblag, das Gefängnis zu überwachen, den Weg dort hin aufgrund der Grobheit Guberts mieden. Ich erinnere mich, dass sich mehrere male die Verfahren von Inhaftierten verschoben, weil Gubert die Forderungen des Landgerichtes nicht erfüllte, Untersuchungshäftlinge oder Zeugen, die wegen anderer Delikte inhaftiert waren, nicht sandte. Das Landgericht erstattete der staatsanwaltlichen Aufsicht über Guberts Handeln Bericht, wie es das Gesetz verlangte, doch diese Meldungen hatten keinerlei Wirkung: Die staatsanwaltschaftliche Aufsicht war machtlos.“9

Teitel nahm sich der Mission an, denen zu helfen, die unter dem Handeln solcher „Guberte“ litten - und weiter gefasst allen Schwachen und Unbewanderten, die der nicht immer gerechten Justiz des Reiches hilflos gegenüberstanden.

Interessant ist die Wohltätigkeit, die Teitel russischen Schriftstellern erwies. Teitel nennt den Schriftsteller Stepan Petrow, der unter dem Pseudonym Skitalez veröffentlichte, seinen geistigen Sohn. „Als ich einmal in die Siedlung zu meinem Freund, dem Amtsrichter Samojlow fahre, höre ich von ihm, dass es in Obscharowka ein Naturtalent gäbe – den Tischler Petrow, einen Philosophen... Ich bat darum, mit ihm bekannt gemacht zu werden. Und Petrow kam. Ich erblickte einen gesetzten Bauern mit klugem Gesicht; er sprach langsam, als wenn er jedes Wort bedenken würde.<...> Die Klarheit seines Verstandes, sein treffendes Urteil über die Landstände, die bäuerliche Selbstverwaltung und die Religion wirkten einnehmend. Als er sich von mir verabschiedete, sagte Petrow, dass er einen Sohn, Stepan, habe, der gut Verse schreiben könne und den es beständig in die Stadt zu gebildeten Leute ziehe. Am nächsten Morgen kam dieser Junge zu mir... Er brachte seine Werke mit. Ich schob es nicht auf die lange Bank, sondern nahm den Jungen mit nach Samara. Ich machte ihn mit dem Redakteur der „Samaraer Zeitung“ bekannt und verschaffte ihm einen Platz als Schreiber am Landgericht. <...> In meiner Fotosammlung befindet sich ein Foto vom Vater Petrows mit einer bewegenden Aufschrift – dem Dank dafür, dass ich dem Sohn zu seinem Weg verholfen hatte.10 

Innere Befriedigung brachten Teitel diejenigen Angelegenheiten, bei denen persönliche Anteilnahme am Schicksal eines Menschen und tätige Barmherzigkeit gefordert waren. Er selbst schreibt darüber folgendermaßen: „Nur wenige Fälle brachten mir Zufriedenheit und zierten meine gerichtliche Tätigkeit. Es sind die Fälle, in denen der Untersuchungsrichter, nach der gerichtlichen Ordnung handelnd, doch zum Verteidiger der Unterdrückten wird.“11 Manchmal lief der Schutz der Unterdrückten auf Elementares hinaus, zum Beispiel dass er jemanden veranlasste der Justiz zu trauen. Zum Beispiel berichtet er in seinen Memoiren von einem Fall, als eine Bäuerin ihm Bestechungsgeld anbot, damit er sie nicht zum Verhör vorlade. Die Frau war sehr verwundert, dass Teitel ihr Anerbieten ablehnte.

Interessant ist, dass er faktisch dem Einfluss der russischen Volkstümlichkeit nicht auswich. In seinem Verhalten, seinen Einstellungen und Idealen hatte der Richter viel von den „reuigen Adeligen“ der 60-70er Jahre des neunzehnten Jahrhunderts angenommen. Die Idee, dass vor allem die Interessen des einfachen Volkes geschützt werden müssten und erst danach an die privilegierten Schichten der Gesellschaft gedacht werden dürfe, war in seinem Falle nicht nur hochtrabende Rhetorik, sondern das Fundament von Werk und Leben dieses Philanthropen. Von der ursprünglichen Unbeflecktheit der Seele überzeugt, empfand er den inneren Widerspruch seines Berufes: „Mit jedem Jahr wuchs meine Überzeugung von der Heiligkeit des Prinzipes: „Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet. Erst, wenn Du den Angeklagten vor dir siehst, wenn Du mit ihm das gesamte gerichtliche Untersuchungsverfahren durchlebst, erst dann empfindest Du die ganze Schwere der Aufgabe des Richters und das häufig verlogene seiner Situation.»12 

Das heißt: Das, was Teitel tat, könnte man als die „kleine Dinge“ bezeichnen. Seine persönliche Macht oder Autorität nutzend, setzte er sich für Menschen ein, die sich in Notlagen befanden. Den Buchstaben des Gesetzes befolgend, suchte er nichts desto trotz manchmal eine Möglichkeit, dem Angeklagten sogar unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften zu helfen, geleitet vom Mitleid mit ihm. Teitel war ein Gegner grundlegender, revolutionärer Veränderungen und bevorzugte die konkret Hilfe in jedem Einzelfall.

Mit anderen Worten, dieser Mann des öffentlichen Lebens sah die Lösung brennender russischer Probleme nicht in der Reformierung, in der Veränderung der Bestehenden Ordnungen, sondern im persönlichen Eintreten für diejenigen, für die es sich in der Rus schlecht lebte. Aber mit diesem nicht gerade fortschrittlichsten Ansatz wurde Teitel auf dem Hintergrund seiner Zeit verstanden und anerkannt. Lauschen wir den Stimmen derer, die bei den Feierlichkeiten zu Ehren seines 80. Geburtstages zu Wort kamen:

„Für seine Bereitschaft, ständig auf fremdes Leid zu reagieren, für das jugendliche Feuer, mit dem er sich daran machte, jedermann zu helfen, ist Jakob Lwowitsch schon lange zu einer geliebten Persönlichkeit bei all denen geworden, die ihn kannten. Schon in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als er in Samara und Saratov lebte, zog es in seine bescheidene Wohnung alle, die eines guten Wortes und eines Freundschaftsdienstes bedurften. In seinem Hause trafen sich die höchsten Vertreter der Intelligenz, spätere bekannte russische Schriftsteller, Politiker – und sie alle haben ihn in positiver Erinnerung.“13

B. L. Gerschun überbringt Teitel im Namen des Bundes der russischen vereidigten Advokaten sogar eine noch höhere Würdigung: „In diesen Jahren wurde uns deutlich, dass Sie allen gehören - der ganzen Gesellschaft, nicht nur dem Gericht, nicht nur der Anwaltschaft, in deren Reihen sie nach Beendigung des Gerichtsdienstes eintraten - nicht  nur den Juden, sondern der gesamten Menschheit. Denn sie sind vor allen Dingen Mensch - im allerbesten Sinne des Wortes.“14

M. Winawer schätzte sogar, dass es in Saratov niemanden gäbe, der Teitel nicht kennen würde.15 

Als vielleicht wichtigste Referenz ist zu nennen, dass sogar die Vertreter der Orthodoxie, mehr noch, Menschen mit russischer Selbstidentifikation in ihm einen wahren Humanisten und Wohltäter sahen. Davon zeugt der folgende Ausschnitt aus der Rede des Leiters der Gesellschaft zur Hilfe für russische Bürger:

„Die Gesellschaft zur Hilfe für russische Bürger... hat diese gesamten zehn Jahre mit Freude und Stolz die Erfolge und Errungenschaften des Verbandes russischer Juden verfolgt... In besonders schweren, tragischen Fällen, wenn schnelle, freigiebige Hilfe das Leben eines Menschen retten oder Familie und Kinder vor dem Verderben bewahren konnte, wandte sich die Gesellschaft um Unterstützung an den Bund russischer Juden - und gestatten Sie mir, zu bezeugen, dass es nicht einen Fall gab, in dem angesichts wirklich auswegloser Not der Bund nicht reagiert und seine ... Hand zur Hilfe gereicht hätte, ohne je Fragen des religiösen Bekenntnisses oder der Nationalität zu berücksichtigen.“16

Es ist uns gelungen, die Spuren J. L. Teitels an einigen Orten zu entdecken. Im Staatlichen Archiv des Saratovgebietes befinden sich Unterlagen der Saratover  Hebammen-Feldscherinnen-Schule für Frauen der Saratover Sanitäter-Gesellschaft,17 die bis 1903 den Namen „Feldscherin“ trug. Der Name Teitels findet sich in der Liste des pädagogischen Rates dieser Schule18 – er war dort Kurator und lehrte ein Semester lang Latein.

Teitels Unterschrift findet sich auch bei Gerichtsfällen im Zusammenhang mit jüdischen Pogromen. Unter anderem beispielsweise in der Sache E. Iljinskijs und K. Aleksandrows. Iljinskij und Aleksandrow wurden der Beteiligung an einer „öffentlichen Zusammenrottung“ angeklagt, „die mit den vereinten Kräften der Teilnehmer infolge einer Aufstachelung, herrührend von religiöser und Rassenfeindlichkeit, einen Überfall auf den Wohnraum der Juden Klugmann, Kuschner und Rjasanskij verübte und deren Besitz entwendete und vernichtete.“ Es ist bemerkenswert, dass gemäß der Anklageschrift der Pogrom am 19. und 20. Oktober 1905 stattfand, die Anhörung der Sache aber im Jahr 1910. Es ist anzunehmen, dass Teitel sich persönlich für die Aufnahme von Gerichtsverfahren in Sachen jüdischer Pogrome einsetzte. Das ergibt sich aus seiner eigenen Erklärung, dass er es nach seiner Ankunft in Saratov als erste Notwendigkeit ansah, Kontakt zu Stolypin herzustellen und eine Zusammenarbeit mit ihm in Sachen der jüdischen Frage erreichte.

Ein anderer Aspekt von Teitels Tätigkeit war eine Gesellschaft zur Unterstützung  bedürftiger junger Menschen, die eine höhere Bildung erlangen wollten. Ihm wurde der Vorsitz des Komitees dieser Gesellschaft angetragen. Nach seinen Worten „kannte das Komitee keinerlei standes- oder konfessionsbedingte Schranken“19 Außerdem ist auch Teitels Beiratstätigkeit in einer Besserungsanstalt für Minderjährige der Gesellschaft für Gehörlose bekannt..    

Das Studium des Lebens und Wirkens Teitels und anderer solcher Philanthropen-Humanisten könnte, wie uns scheint, zu einem tieferen Verständnis der inneren Gründe für die Abgrenzungen der jüdischen Hauptströmungen – Assimilation und Isolation – beitragen, für ihre Wechselwirkungen und ihr geschichtliches Schicksal.

Aber das Wichtigste, was uns das Leben J. L. Teitels lehren kann, ist dass ein weiser Mensch, der der Berufung seiner Religion und Nationalität folgt, in sich niemals die Stimme der universalen, übermenschlichen Vernunft erstickt – derer, die das Überleben der Zivilisation sichert.

Und diese Stimme fordert uns lauter als alles andere auf:

„Eilt, Gutes zu tun!“

1  Ausführlicheres s. u. a. Клиер Дж. Круг Гинцбургов и политика штадланута в имперской России //  Вестник Еврейского университета в Москве. 1995. Т. 3. № 10. с. 38-54.

2  Der bekannte Forscher der Geschichte des russischen Judentums, J.D. Klier, schreibt, dass es schon 1816 schwierig gewesen sei, einen Juden zu finden, der danach streben würde, ein Abschlussdiplom einer russischen Universität zu erlangen.

3  Maxim Mojseewitsch Winarew – (1862-1926) – einer der Mitbegründer der Kadettenpartei, ab 1906 Abgeordneter der ersten Staatsduma.

4  Тейтель Я. Л. Из моей жизни. За сорок лет. Париж: Изд-во Я. Поволоцкий и К., 1925.

5  «Im Mai 1875 schloss ich das Jurastudium an der Moskauer Universität ab. Nun stand die Frage an: Welcher Aufgabe soll ich mich widmen: einer anwaltlichen oder der Magistratur.? <...> In der ersten Zeit nach der Einführung der Reformen im Gerichtswesen, konnte die Anwaltschaft stolz darauf sein, dass sie in ihren Reihen viele ehrliche, ideenreiche Persönlichkeiten hatte. Da ich mich nicht für geeignet hielt, zu denjenigen Anwälte zu zählen, die „mit Worten das Herz der Leute entzünden“, entschloss ich mich, mich einer bescheidenen Tätigkeit zu widmen – dem Dienst in einer Justizbehörde.“
Тейтель Я. Л. Из моей жизни. За  сорок лет. Париж: Изд-во Я. Поволоцкий и К., 1925.  С. 32.  

6  Ebd. S. 191.

7  Die Jüdische Territorialistische Gesellschaft (JTO) wurde nach der Abspaltung einer Gruppe im Verlauf des siebten Zionistischen Kongresses, der im Juli 1905 in Basel stattfand, gegründet. Die Mehrheit der Kongressteilnehmer waren ausschließlich auf die Übersiedlung nach Palästina orientiert und hielt die Prüfung anderer Gebiete für verlorene Zeit. 28 Personen, die diesen Standpunkt nicht teilten, gründeten die JTO. Die Tätigkeit der JTO war nicht erfolgreich.
Ausführlicher s. u. a. «Очерки по истории еврейского народа». Под ред. С. Эттингера.  Ам Овед.  Тель Авив, 1972.     

8  Тейтель Я. Л. Из моей жизни. За сорок лет. Париж: Изд-во Я. Поволоцкий и К., 1925.  С. 140.

9  Ebd. S. 159.

10  Ebd. S. 107.

11  Ebd. S. 116.

12  Ebd. S. 166.

13  Брамсон Л. М. // Я. Л.  Тейтель. Юбилейный сборник. 1851-1931. Париж-Берлин. Б. и., 1931. С. 80.

14  Гершун Б. Л. // Там же. С. 92.

15  Винавер М. // Там же. С. 45.

16  Кадиш М. П. // Там же. С. 100.

17  ГАСО. Ф. 450. оп. 1.

18  ГАСО. Ф. 450. оп. 1. ед. хр. 46. с. 27

19  Тейтель Я. Л. Из моей жизни. За сорок лет. Париж: Изд-во Я. Поволоцкий и К., 1925.  С. 178.




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